Gedanken zu einem klassischen Kletter-Roadtrip
—Nat Bailey
Mazama, Washington. Vielleicht sagt dir das etwas, vielleicht auch nicht – du kannst mich als schlicht bezeichnen, aber ich denke dabei an Chai, Baguette und meine Freunde Drew und Anthony. In diesem Moment in Mazama waren mein Freund Adrian und ich jedoch in ein leidenschaftliches Tischfußballspiel mit einem gerissenen Zehnjährigen verwickelt. Adrian und ich waren ein wenig angeheitert von einem Bier nach dem Klettern. Der Junge nutzte das voll aus, schlug uns fast und war natürlich begeistert: Ich habe gerade fast zwei Teenager besiegt! Wir sagten ihm, dass wir schon über zwanzig seien, was natürlich Musik in seinen Ohren war. Übermütig lief er zu seiner Familie zurück. Unsere Freunde am Tisch, die mit einem Auge unser Spiel beobachteten und mit dem anderen Reels der australischen Rugby-Nationalmannschaft anschauten, waren ebenfalls ziemlich amüsiert.
Wir waren am Ende eines zehntägigen Roadtrips im Auftrag von Black Diamond (ich fühle mich wie Jimmy Chin, wenn ich „im Auftrag“ sage), um einen klassischen Kletter-Roadtrip zu filmen. Wir waren alle am Überlegen, wie man so etwas bewerten sollte. Dies war unser „klassischer Kletter-Roadtrip“? Was ist das überhaupt? Unser gesamtes Leben? Die orbitale Kraft, die uns durch zufällige Jobs, Beziehungen, Fahrzeuge und Wohnorte spült? Eine Partie Tischfußball gegen ein Kind verlieren und Doomscrolling? Das kann‘s nicht sein!
Black Diamond präsentiert: Born From The Climbing Life
Meine Überlegungen haben mich auf den Gedanken gebracht, dass eine Sache zu einem Teil einer Kultur wird, wenn es etwas ist, das eine Gemeinschaft einfach tut. Das ist kein besonders kluger Gedanke, schon klar. Aber meiner Erfahrung nach ist eine Kletterreise einfach eine Bühne mit wechselnden Charakteren und einer Vielzahl von Kulissen. Am Anfang ist eine Kletterreise unglaublich neu und einfach total verrückt: mit fünf Freunden in einem Zelt leben, sich beim Biwak am Smith Rock betrinken und leider auch aus Dummheit gute Ausrüstung kaputtmachen. Das hört sich doch schon ziemlich nach einem klassischen Roadtrip an, oder? Ein Urlaub nach dem Motto „Ich kann nicht glauben, dass dies wirklich mein Leben ist“, voller Adrenalin, eine Art Initiationsritus, das war definitiv ein wichtiger Bestandteil auf der Bühne der Kletterreisen.
Ich bin aus dieser Phase herausgewachsen (vielleicht hast du sie einfach übersprungen, bei mir jedenfalls hat das nicht geklappt). Aber Kletterreisen spielen in meinem Leben immer noch eine Rolle, und ich kann den Begriff „Roadtrip“ auch nicht wirklich von dem trennen, was ich bin und wie ich hierher gekommen bin. Ich denke, das ist es, was ich mit dem Gefühl meine, dass solche Roadtrips etwas sind, was wir einfach tun. Und so werden sie zu dieser bemerkenswerten Kulisse, vor der sich unser Leben entfaltet. Das ist wohl die Essenz jeder Kultur. Kultur ist dann am schlimmsten, wenn sie als Schublade gedacht wird, die definiert, wer dazugehört und wer nicht. Davon gibt es in der Klettergemeinschaft jede Menge. Idealerweise bietet Kultur eine Kulisse, die alle dazu einlädt, etwas selbst zu erleben und sich zu eigen zu machen. Wie schon gesagt habe ich das Glück, dass Kletterreisen schon immer irgendwie Bestandteil meines Lebens waren. Dennoch möchte ich an dieser Stelle nicht die Geschichte der Kletterkultur erzählen. Ich kann nur sagen, wie sich mein Leben vor diesem Hintergrund entwickelt hat; mit etwas Glück bringt es dich zum Lachen und dazu, an deine Freunde zu denken. Ich hoffe, es wirkt nicht wie eine arrogante Anleitung dazu, wie Kletterer sein sollten und was ein Roadtrip ist. Diese Auslegung bleibt natürlich jedem selber überlassen.
Meine Ausrüstung muss inzwischen weniger leiden und ich bleibe im Smith Rock Camp meistens nüchtern, aber es gibt Dinge, die sich hartnäckig halten. Beim Klettern geht es bei mir immer noch zu 95 Prozent darum, in den Hintern getreten zu werden. Diesen Sommer auf dem Black Diamond Trip hatte ich die Frechheit (sprich: Arroganz) zu glauben, ich könnte eine legendäre Kletterroute am Index Town Wall (Washington) flashen. Numbah Ten war nur eine 5.12b (6b), also ein Spaziergang für jemanden wie mich, der einarmige Klimmzüge zum Aufwärmen macht. Meine Freundin Victoria, eine der Fotografinnen, wollte Numbah Ten unbedingt fotografieren. Victoria hat selbst ein Händchen dafür, Routen auf eine nette Art und Weise zu unterschätzen: Ich habe sie schon oft erlebt, wie sie mit süßem Lächeln sagt: „Ich kenne dich, du bist ein echt guter Kletterer“ – direkt bevor es richtig eins auf die Mütze gibt. Lange Rede, kurzer Sinn, ich konnte nicht einmal diesen einen Schlüsselzug klettern. Lasst euch nicht von ihren tollen Fotos täuschen, die Route hat mich einfach abgeschüttelt. So sieht das Klettern für mich im Großen und Ganzen aus. Ich denke, ich werde immer von einem Klettergebiet zum nächsten fahren und mich amüsieren, ganz gleich ob mich von einer Route abtropfe oder nicht. Tatsächlich bin ich dieses Wochenende zu den Skaha Bluffs gefahren, um genau das zu tun. „‚Engineered for the send“ klingt halt auch viel lässiger als „engineered, um eine Stunde im Gurt zu hängen“ und ständig zu sagen: „Okay, ich klettere weiter. Halt, doch nicht, hast du mich? Sorry.“ Aber das ist Kletterkultur, so wie ich sie sehe und liebe.
Da für mich und viele andere Menschen das „auf Reisen sein“ so untrennbar mit dem Leben verbunden ist, kann es auch manchmal nervig sein. Es ist menschlich, und das bedeutet, dass Menschen verletzt werden und andere verletzen, und manchmal kann sich das Leben mit einer solchen Leidenschaft ziemlich planlos anfühlen. Das gehört eben auch zur Kletterkultur.

Aber mal ehrlich: Gibt es etwas Schöneres, als irgendwo hinzufahren, nur weil man vermutet, dass man dort Leute kennt, um dann auf dem Campingplatz mit offenen, überraschten Armen empfangen zu werden? Das Einzige, was vielleicht noch in Frage käme, wäre auf dem Creek Pasture-Campingplatz mit deinen Freunden zu Darude’s Sandstorm (ein bekannter Techno Song) abzutanzen. Oder kann das Leben jemals perfekter sein, als wenn du mit Freunden kletterst und sie gerade eine Seillänge hinaufschweben, die Welt unglaublich ruhig ist und du irgendwie spürst, dass sie genau dort sind, wo sie hingehören? Und was ist lustiger als die Verrücktheiten dieser Reisen, wie z.B. bei Schlafsackschlachten fast zu ersticken, während man ein Sicherheitswort um sein Leben schreit, nachts um 3 Uhr über eine Autobahn zu rasen und dabei einen Song namens Cyberdemon zu hören, Karatekicks am Washington Pass zu lernen oder das Färben der Haare zu vermasseln und wie die Blue Man Group zu Walmart gehen müssen? Von Zigaretten fange ich gar nicht erst an. Wir Kanadier haben eine Regel: In Amerika zählen sie nicht.