Black Diamond präsentiert: Magic Line mit Carlo Traversi

Ich verstehe noch nicht ganz, warum es mich immer wieder zu diesen unglaublich schwierigen, dünnen Rissen zieht. Jede dieser Linien erfordert ganz spezielle Fähigkeiten, fast so, als wäre es eine eigene Kletterdisziplin. Ich liebe das Bouldern für seine Einfachheit, Subtilität und direkten Krafteinsatz. Das Sportklettern hingegen bietet mir strategische Elemente, bei denen es darum geht, Energie zu sparen und gleichzeitig Ruhe zu bewahren, während meiner Armmuskulatur langsam die Kraft ausgeht. Das Trad-Klettern liebe ich, weil es stets ein großartiges Abenteuer inmitten hoch aufragender Wände und grandioser Felsformationen ist.  

 

Hartes Trad-Klettern ist eine Kombination aus allem und trotzdem nicht vergleichbar. Wie beim Bouldern fühle ich diesen Purismus, allerdings brauchst du viel Ausrüstung. Feinheiten werden erlernt, aber dann wieder vergessen, ins Unterbewusstsein verdrängt, weil es zu viele andere Dinge gibt, um die man sich kümmern muss. Wie beim Sportklettern erfordert es Strategien, aber nur selten sind deine Arme so gepumpt. Der Flow, den du beim Einhängen von Bohrhaken in leichten Passagen spürst, wird durch angespannte Momente unterbrochen, in denen du darum kämpfst, einen Klemmkeil irgendwie im Riss unterzubringen, wobei jede einzelne Sicherung zählt, damit man nicht auf dem Boden aufschlägt. Und in Trad-Routen erlebst du fast immer ein Abenteuer, aber in einer sehr fokussierten Art und Weise. Bei jedem neuen Versuch stürzt du dich ins Ungewisse, bereit mit allen unvorhergesehenen Situationen fertig zu werden, die sich dir entgegenstellen. Im Vergleich zu all diesen anderen Disziplinen ist das Erlebnis in einer harten Trad-Route eine Mischung aus intensiver körperlicher Anstrengung, geistiger Konzentration und der Fähigkeit, hohe Belastungen über einen relativ langen Zeitraum zu bewältigen.

 

Magic Line hat mir Perfektion abverlangt. Sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht. In körperlicher Hinsicht ging es weniger um Kraft sondern darum, in einer Seillänge Stabilität und Spannung zu bewahren. Ich versuchte, mir Ober- und Unterkörper als zwei getrennte Körperbereiche vorzustellen und immer nur einen Bereich unter Spannung zu halten, um mich in der Wand zu halten, während der andere Bereich sich kurz erholen konnte. 

 

Mental bestand diese Perfektion darin, in der naturgegebenen Unsicherheit der Tritte Trost zu finden. Es kostet viel Energie, sich selbst immer wieder davon zu überzeugen, dass diese Tritte halten werden und man nicht 30 Meter weit die Wand herunterrutschen wird. So fühlt sich das an. Es gibt keinen Moment der Entspannung oder des Aufatmens. Die letzten Züge vor dem Ausstieg gehören nicht zu den schwersten, die ich bisher geklettert bin, aber so scheinheilig sie auch aussehen, sie verlangen dir alles ab und zwingen die Füße ein bisschen zu hoch oder in ungünstige Positionen. Zwei Mal bin ich beim letzten Zug gestürzt. Ein Mal im Jahr 2016 und ein Mal im vergangenen Jahr. In diesen Momenten konnte ich spüren, wie mich meine mentale Stärke verließ. Dann redete ich mir ein, dass ich einfach mehr Kraft brauchte um mehr Kontrolle zu haben.  Aber dieselbe Kraft kann einen auch von der Wand wegziehen oder am Ausstieg in eine Sackgasse führen.

 

In dieser Route habe ich viele wichtige Lektionen gelernt. Die wichtigste Lektion war, zu lernen, mich zu entspannen. Denn mit zunehmender Müdigkeit und unter unerträglichem Stress liegt im Entspannen und Weiterklettern der Schlüssel zum Erfolg.

 

--Carlo Traversi